Um die Welt in 40 Monate (5).
»Wir haben Regen gefürchtet und oft nach Wasser gesucht«
Im Norden Argentiniens radelten wir durch trockene Salzwüsten, im selben Land ertrank unser Zelt, das wir hinter dem Gemeindehaus eines kleinen Dorfes aufgestellt hatten, in einem Regenguß. Die Suche nach sauberem Wasser jedoch war das größere Problem. In Afrika lernten wir, Trinkwasser so zu gewinnen:
Neben einem - meist verschmutzten Bach oder an tiefen Stellen eines trockenen Flusbettes gruben wir ein Loch und warteten, bis Wasser hineingesickert war und der Sand sich gesetzt hatte.
Argentinien: die Salzebenen waren in einem Tag zu durchqueren, sonst hätten wir wohl große Schwierigkeiten mit unserer Wasserversorgung gehabt.
D
er Iran und die östliche Türkei waren die einzigen Länder, in denen Nelly oft von Männern belästigt wurde. An einem Tag in der Türkei, an dem wir vormittags von Kindern mit Katapulten beschossen wurden und voller Wut weitergeradelt waren, fragte uns ein Busfahrer, ob wir mit ihm fahren wollten. Das war nichts Ungewöhnliches, denn auch viele Lkw-Fahrer schienen uns zu bedauern - oft boten sie uns einen Platz auf ihren Fahrzeugen an. Wir hatten - wie immer - abgelehnt. Da versuchte der Mann, Nelly zu kneifen, und rannte danach blitzartig zu seinem Bus. Ehe ich ihn erreichen konnte, hatte er bereits die Tür des Gefährts geschlossen. Ich war so wütend, daß ich unabsichtlich eine Scheibe zertrümmerte.
In der nächsten Stadt nahm uns ein Gendarm fest. Er brachte uns zu einem Polizeiposten. Der Busfahrer hatte uns angezeigt, und wir wurden noch am selben Tage einem Richter vorgeführt. Ein Dolmetscher gab uns die Möglichkeit, die Ereignisse aus unserer Sicht zu schildern. Die Episode endete so kurios, wie sie begonnen hatte: Der Richter sprach uns frei und bestrafte kurzerhand unseren Ankläger.
Häufig hängt alles davon ab, ob man ein Gespür dafür hat, wie bedrohlich die Situation tatsächlich ist und welches die angemessene Abwehr. In der Nähe einiger Maya-Ruinen in Mexiko tauchte aus der Dunkelheit der Nacht plötzlich die Gestalt eines Mannes vor unserem Zelt auf, der sich als ein Denkmalhüter der Regierung ausgab. Er richtete sein Gewehr auf uns und kommandierte: "Verschwindet auf der Stelle!"
Wir wagten keine Widerrede, packten unsere Sachen zusammen und fuhren zum nächsten Hotel.
Argentinien: Regengüße hatten wir hier aber auch und ein falsch hingestellte Zelt.
I n Nordkenia, in der Umgebung von Marsabit, leben die Samburu, Verwandte der Massai. Sie hatten phantasiereich bemalte Gesichter und grellrot gefärbte Haare. Die Männer trugen Keulen und Speere und waren fast nackt. Die Frauen trugen Tücher um die Hüften und hatten viele farbige Ringe an den Gelenken. Als ich drei von ihnen fotografierte, wollten sie Geld dafür. Weiß der Teufel, wie sie darauf gekommen waren, denn Touristen kamen nur selten in diese Gegend. Aber ich zahle nicht fürs Fotografieren. Nie.
Also lehnte ich ab. Da traten sie uns breitbeinig entgegen und bedrohten uns mit ihren langen, groben Hackmessern. Ich hatte keine Angst, aber mir fiel ein, daß holländische Flüche, ihrer Rachenlaute wegen, auf Ausländer besonders beängstigend wirken. Ich trat ihnen einen Schritt entgegen und schrie: "Godverdomme! Ga als de Bliksem weg!"
Sie nahmen es wörtlich. Sie verschwanden wirklich wie der Blitz.
Polizisten gingen zumeist freundlich mit uns um. Im Sudan war uns das Radfahren verboten. In unserem eigenen Interesse, sagte man uns lächelnd auf der Polizeistation von Wadi Halfa, denn bis zur nächsten Stadt müßten wir 340 Kilometer durch die Wüste fahren, und das wäre unmöglich. Das war ganz sicher eine charmante Lüge, denn in Wahrheit waren wohl militärische Sicherheitsbestimmungen der Grund.
Fünf Tage warteten wir auf die Genehmigung, mit einigen Autofahrern, zwei aus der Schweiz und einem aus Südafrika, im Konvoi weiterreisen zu dürfen. Einem der Polizisten von Wadi Halfa verdanke ich einen der unvergeßlichsten Eindrücke meines Lebens. Er fuhr mich in einem alten Auto an den Nil, damit ich sehen konnte, wie hinter dem Fluß die Sonne unterging. Tagsüber spielten wir mit den Kindern der Polizisten Tischtennis, und nach Einbruch der Dunkelheit, es war gerade Fastenzeit, waren wir Gäste ihrer herzhaften Küche. Am letzten Tag unseres Aufenthalts war die Fastenzeit vorüber. Die Polizisten schlachteten ein Schaf, legten ihre feinsten Anzüge an und luden uns zu ihrem Festmahl ein.
Als wir in Abu Hamed versuchten, gegen das Radfahrverbot zu handeln, wurden unsere Räder beschlagnahmt und unter Bewachung in den Zug nach Khartum verladen. Auf dem Weg dorthin, in Atbara, nahm man uns die Pässe ab und sperrte uns für zwei Tage ein. Ich verlor die Fassung und schnauzte den Kommandanten des Polizeipostens an: "Dies ist kein freies Land!"
Als sich dessen Miene verfinsterte, begriff ich schlagartig meinen Fehler und entschuldigte mich auf der Stelle. "Geh! Geh!" Seine Handbewegungen zeigten nur an, daß es ratsam war, sich umgehend aus dem Staube zu machen. Von Khartum aus sind wir dann doch geradelt.
Honduras: der Bach war nicht zu sauber, so aber wurde unser Wasser ein wenig vom Sand gefiltert.
Die Welt, das wissen wir inzwischen, ist voll von Vorurteilen, die man uns mit auf den Weg gab, ehe wir uns das erste Mal auf unsere Sättel schwangen. Je weiter wir um die Welt kamen, desto mehr dieser Vorurteile bauten wir ab - und werden deshalb heute gelegentlich für naive Schwärmer gehalten. Statt Menschen zu fürchten, freuten wir uns auf sie. Schließlich ängstigten wir uns nicht einmal mehr vor wilden Tieren. Waffen hatten wir nicht mitgenommen. Unsere "Waffen" waren Steine, Feuer und unsere Fahrräder, die wir in bedrohlichen Situationen wie ein Schutzschild vor uns aufbauen konnten. Wir hatten Rasiermesser, um uns bei Schlangenbissen selber helfen zu können - benötigt haben wir sie nie.
Nelly erschrak einmal, als ihr in Malawi eine Baumschlange direkt vor die Füße fiel. Die Schlange griff jedoch nicht an, sondern versuchte zu fliehen. Dabei geriet sie in die Speichen eines Rades, und wir befürchteten einen Augenblick, sie würde sich in einer der Gepäcktaschen verkriechen. Doch dann befreite sie sich und verschwand. Wir haben unsere Augen aufgemacht, besonders in Malawi und Moçambique, wo es viele Schlangen gab, aber Angst haben wir nicht gehabt. Wir zivilisierten Menschen haben ja auch keine Angst vor dem Straßenverkehr, der uns ebenso ständig zum Aufpassen zwingt.
Wir empfanden so etwas wie Spannung, als wir in einem afrikanischen Wildreservat mitten durch eine Elefantenherde radelten, vor der man uns gewarnt hatte. Die Tiere sollten ein Auto angegriffen und die Menschen zerquetscht haben. Mag sein, daß diese blutige Story stimmte; jedenfalls: Vor uns flohen die Elefanten mit trägen Schritten - vielleicht, weil sie noch nie einen Menschen gesehen hatten, der sich so seltsam wie wir fortbewegte.