Um die Welt in 40 Monate (6).


»Auf dem Fahrrad fühlt man sich überall zu Hause«

Obwohl wir sechs Sprachen sprechen und uns in vielen Ländern, die wir durchquerten, ein Wörterbuch kauften, haperte es oft mit der Verständigung. Dann halfen - ob nun in einem äthiopischen Bergdorf, im Zelt in Malawi oder auf einer ägyptischen Straße - fast immer »eine nette Geste, ein lachender Blick oder einfach stumme Neugierde«, um Freundschaft mit Menschen zu schließen.
A
m frühen Morgen des Weihnachtstages waren wir am Blauen Nil gerade damit beschäftigt, unser Frühstück zu bereiten, als uns ein unbekanntes, anschwellendes Geräusch aufschreckte. Ich eilte aus dem Zelt und entdeckte eine fast zwei Meter breite Riesenarmee schwarzer Wanderameisen. Die Tiere marschierten, wie in einer Schlachtordnung, zügig auf unser Zelt zu. Wir verloren keine Sekunde, griffen zu einigen Schnipseln Papier, die im Zelt herumlagen, rafften trockene Holzscheite zusammen, errichteten einen Schutzwall um unser Zelt und zündeten ihn an. Das Feuer versetzte die Tiere in Panik, wie zerschlagene Heerhaufen zogen sie sich zurück.
Es wäre sinnlos gewesen, sich auf solche Zwischen-fälle schon vor Beginn der Reise einzurichten. Genauso sinnlos wäre es gewesen, Medikamente in größerer Zahl mitzuschleppen. Wir haben es bei Aktivkohle belassen, bei einigen Antibiotika, bei Verbandszeug und Pflastern. Das Verbandszeug benötigten wir nur ein einziges Mal, in Österreich, wo ich mir bei einem Sturz den Fuß verstauchte. In der Nacht wurden die Schmerzen so stark, daß Nelly mir einen Verband anlegte. Vielleicht haben wir Glück gehabt, doch wir blieben beide von ernsten Krankheiten verschont. In Persien fühlte ich mich plötzlich unwohl, die Haut um die Augen verfärbte sich gelb. Ich schluckte ein paar Kohle-tabletten, aber sie halfen nicht. Vielleicht half das frische Obst und Gemüse, das wir dann in der Türkei aßen und das wir im Iran nicht hatten kaufen können. Nach einer Woche jedenfalls fühlte ich mich wieder fit.
Zweimal, nur zweimal wurden wir bestohlen. Das eine Mal während eines Volksfestes in Mirsapur in Indien, wo Nelly eine Puppe vermißte, die sie aus Stoffresten angefertigt hatte, das andere Mal in Peru. Da war es ein Glas Marmelade, das Nelly in das offene Fenster einer Schule gestellt hatte, in der wir übernachteten. Und immer hatten wir etwas draußen vor dem Zelt stehen was nützlich für die Leute war, nur nicht Lebensnotwendig für uns selber. Wenn uns andere Globetrotter erzählen, diese Welt sei voll von Dieben, denken wir uns unser Teil.
Es mag der Eindruck entstehen, als hätten wir auf unserer Fahrt fast nur die heile Welt gesehen. Es stimmt, wir haben die Welt fast immer von einer guten Seite kennengelernt. Wir haben nur wenige Menschen getroffen, die sich über ihr Leben, ihre Armut oder die leidvollen Erfahrungen ihrer Geschichte beklagten. Wir haben versucht, die Nachkommen der Inkas auf die Demütigungen anzusprechen, die ihre Ahnen hinnehmen mußten, als die Spanier kamen. Sie haben geschwiegen, und wir haben dieses Thema nie wieder angesprochen.

Malawi: Dichtbevölkert, daher hatten wir immer Zuschauer beim Zelten, diese Mädchen wunderten sich was Nelly alles zubereitet hat.

I n Ecuador hat sich ein Straßenarbeiter - so etwas erlebten wir in ganz Südamerika nur dieses eine Mal - über die Reichen erregt. Wir standen unter dem Dach einer Hütte, um das Ende eines Regenschauers abzuwarten. Der Mann kam zu uns und plauderte, als einige nagelneue Autos an uns vorbei-fuhren.
"Da könnt ihr es sehen", ereiferte er sich und stieß seinen Zeigefinger in die Richtung der Fahrzeuge, "kaum wird hier nach Öl gebohrt, da kommen die Reichen und reißen alles an sich. Sie kaufen teure Autos, sie bauen Straßen. Und mit dem Geld kommt die Inflation. Aber die Landarbeiter", seine Stimme begann zu zittern, "erhalten nicht mehr Geld für das, was sie erzeugen."
In Mexiko berichtete uns ein Indio, Nachkomme der Maya, daß ganz bei ihm in der Nähe ein Student erschossen worden sei, der sich für die Arbeiter eingesetzt habe. Als er dieses sagte, begann er zu flüstern, er fürchtete sich vor der Polizei, wie viele andere Menschen hier auch.
Warum waren unsere Erfahrungen mit den Bewohnern der USA so bedrückend? Jedenfalls: Die USA sind das einzige Land, in dem wir uns tatsächlich bedroht fühlten.
Wir fuhren auf Seitenstraßen durch Texas, Louisiana, Mississippi, Tennessee, Kentucky, Indiana, Ohio und Michigan nach Kanada. Wir waren es gewohnt, dort zu zelten, wo Menschen sind, denn wo Menschen sind, ist Wasser und ein Gespräch. In Lateinamerika waren wir oft, wenn wir einen Bauern gefragt hatten, ob wir im Schatten seiner Scheune zelten dürften, ins Hans und an den Abendbrottisch gebeten worden. In den USA wurde unsere Bitte fast immer abgelehnt.

Äthiopien: die Wege waren oft sehr slecht, dann geht man zu Fuß manchmal so schnell wie mit dem Rad und hilft eben ein wenig.

Einmal, in Louisiana, zelteten wir, nachdem es uns niemand erlaubt hatte, heimlich in einem Gebüsch. Am nächsten Morgen ging ich zu einer Farm und bat, zwei Kannen in den Händen, um Wasser. Ohne die Tür zu öffnen, deutete die Farmersfrau durch das geschlossene Fenster hindurch auf einen Wasserhahn im Hof. In diesem Augenblick fuhr ein Wagen heran. Ein kräftiger Mann stieg aus, grüßte nicht, sondern fragte barsch:
"Ist dein Wagen kaputt?"
"Nein."
"Wo kommst du her?"
"Aus Holland."
"Du hast keine Kleider?"
"Doch", sagte ich, "ich habe doch Kleider an."
"Ja, aber keine anderen."
"Doch, genügend."
"Da drüben", antwortete ich und deutete mit dem Kopf zum Wald.
"Im Wald?"
"Ja, wir zelten dort."
"Aber da sind Klapperschlangen", sagte die Farmersfrau, die inzwischen herausgekommen und die Mutter des Mannes war.
"Wir haben keine gesehen", sagte ich.
"Hast du Papiere?" fragte der Mann.
"Haben Sie das Recht, mich danach zu fragen?"
"Ja", antwortete er und zeigte mir einen Ausweis. "Ich bin Polizist." Ich gab ihm meinen Paß.
"Warum sind Sie so mißtrauisch?" fragte ich.
"Die Leute haben Angst hier", sagte er: Und dann: "Wenn du zu einem Haus kommst und sie mit einem Gewehr herauskommen - dann haust du besser ab!"

Von Halifax in Kanada flogen wir nach Glasgow, und von dort radelten wir nach Hause.


Ich habe Tagebuch geführt: 13l7 mal habe ich Reifen flicken und 53 mal neue Reifen aufziehen müssen. Ersatzteile hatten wir uns in die jeweils nächste Großstadt vorausschicken lassen. Hunderte von Speichen sind gebrochen. Als wieder einmal eine gebrochen war, zertrat ich in meiner Wut noch weitere drei und mußte schließlich auch die reparieren.
Das war ein Erlebnis, von dem Nelly heute sagt, es sei "das Ende der Welt" für sie gewesen.

Wie es weiter geht:
Unsere Radgeschichten könnten wir auf viele unterschiedlichen Weisen erzählen, diese war nur eine.
Wir hoffen daß es Ihnen eine Freude war sie zu lesen. Andere Teile handeln von Radfahren mit Kindern, von Kleinkind bis zu Erwachsenen, und Kochen und Zelten unterwegs.
Diese Geschichten sind auf Niederländisch, aber mit dem Mauszeiger auf den Bildern zeigend, gibt es eine Erklärung auf Englisch.
Die englische und niederländsiche Geschichten haben alle wieder andere Bilder.
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