Um die Welt in 40 Monate (4).


»Oft waren wir erschöpft, doch nach Hause wollten wir nie«

Auf der Suche nach einem »schönen Zeltplatz« schleppten wir in Rumänien unsere Räder durch einen Fluß. In Brasilien erlebten wir Tage, an denen wir bis zu zwanzigmal durchs Wasser mußten, weil die Wege, die wir benutzten, keine Brücken hatten - Hindernisse, die, wie die dornigen Bergpfade Äthiopiens, Fahrer und Räder schlauchten. Geflickt wurde erst, wenn pumpen nicht mehr half - insgesamt eintausenddreihundertsiebzehnmal.

Rumänien: Ein idealer Zeltplatz fanden wir bei Neamt an der anderen Seite des Flußes

I
n Panama City ging ich zum Departamento de Migración. In unseren Pässen waren nur zehn Balboas quittiert, und ich wollte herausfinden, wer die anderen zehn kassiert hatte. Auch dieser Beamte war ein Weißer.
"Ich brauche eine Bescheinigung über die zehn Balboas, weil ich eine Versicherung für unvorher-gesehene Ausgaben habe", log ich.
Er schüttelte den Kopf. Damit wir nicht zu lange auf die Pässe warten mußten, habe er ein Taxi bezahlen müssen. Denn er sei wegen des Karnevals nicht im Amt gewesen. Das solle er mir bescheinigen, sagte ich. Er schwieg. Eine halbe Stunde lang trug ich meine Bitte immer wieder vor, dann griff er zum Federhalter. Ich legte meine Hand auf seinen Arm.
"Ich habe eine Freundin in Puerto Obaldia", sagte ich. "Sie will in die USA, aber sie hat die 300 Dollar nicht. Ich verzichte auf die Bescheinigung, wenn Sie Ihrem Posten in Obaldia telegrafieren, daß gegen die Weiterreise der Frau keine Einwände mehr bestehen." Er tat es.
Wäre es nach dem gegangen, was man uns vor dem Antritt unserer Reise erzählte, hätten wir überall nicht nur korrupte, sondern auch räuberische und aggressive Fremde treffen müssen.
Man hatte uns, zum Beispiel, gewarnt, in Afghanistan über den Khyber-Paß zu fahren oder gar dort anzuhalten. Wir sind über den Khyber-Paß gefahren und Bergbewohnern begegnet, von denen alle Welt behauptet, daß sie auf Touristen schießen.
Wir haben sehr schnell gespürt, daß wir hier nichts zu befürchten hatten. Wir haben auf der Paßhöhe gerastet und gegessen und nie das Gefühl gehabt, in Gefahr zu sein.
Die Patanen, so heißen die Bergbewohner, große, hagere Männer mit dunklen Augen, sprachen mit uns. Sie hatten tatsächlich Gewehre in der Hand und trugen Patronengurte von der Schulter bis zur Hüfte. Sie ließen uns ihre Waffen anschauen und sich fotografieren. Zu Hause haben wir später nachgelesen, daß die Bewaffnung zu ihrer Stammestradition gehört, als ein Sinnbild ihres Stolzes.
Von weißen Afrikanern sind wir gewarnt worden, durch die Transkei zu radeln. "Das ist unmöglich, euch wird bestimmt etwas passieren", hatte man uns gesagt. Natürlich passierte überhaupt nichts. Als wir in einem Dorf unser Zelt aufschlugen, erzählten wir den Bewohnern, daß wir Holländer seien. Vermutlich wußten sie nicht, was Holland ist, aber sie begriffen wohl, daß wir keine Feinde waren. Männer gab es in dem Dorf ohnehin nur wenige. Sie arbeiteten in den großen Städten, ihre Franen und Kinder blieben meist allein. Es war Winter und kühl, die Frauen trugen Decken um die Schultern. Als ich eine Gruppe von ihnen fotografieren wollte, schlugen sie ihre Decken zurück und ließen ihre Brüste sehen. Sie sind es offensichtlich gewohnt, daß weiße Männer ihre Brüste sehen wollen.
Die wirklichen Bedrohungen, die wir erfuhren, erklärten sich aus den Moralgesetzen der Menschen, von denen sie ausgingen. Maschad, so hatten wir gehört, sei heute eine Stadt, wo die islamischen Sitten ihre Strenge eingebüßt hätten. Nelly hatte daher, entgegen ihrer Gewohnheit, vor der Einfahrt nicht ihre Shorts gegen lange Hosen gewechselt. Auf der Suche nach einem Hotel wurden wir von ein paar zornigen Männern aufgehalten, die lautstark ihr Mißfallen über

Bolivien: Die kleinen Quechas waren richtig interessiert wie ein Europäer Schläuche flickt.

die Kleidung meiner Frau äußerten. Der Wortführer der Gruppe raunzte uns an: "Was denken Sie sich eigentlich", so drohte er in gebrochenem Englisch, "wenn Sie weiter hier so herumlaufen, werden Sie das mit dem Leben büßen!"
Wir stammelten ein paar Entschuldigungen in die Menge - mittlerweile hatte es einen Menschenauflauf gegeben - und beeilten uns, in einem Hotel zu verschwinden.
Nellys Shorts erregten nicht nur hier Aufsehen. In Malawi schreibt ein Gesetz den Frauen vor, ihre Knie zu verhüllen. Da es ihnen zudem nicht erlaubt ist, lange Hosen zu tragen, kaufte sich Nelly ein großes, bunt bedrucktes Tuch, das sie um die Hüften zusammenknotete und wie ein langes Kleid trug.
An einem Nachmittag, wir hatten noch etwa 20 Kilometer bis zur nächsten Stadt zu radeln, kamen wir mit einem Polizisten ins Gespräch, der ebenfalis mit dem Fahrrad fuhr und denselben Weg hatte. Der Mann war freundlich und unterhielt sich mit mir, während Nelly wenige Meter vor uns fuhr - in kurzer Hose. Am Stadtrand stieg sie ab, um ihr "Kleid" anzulegen. Da bat er uns, mit ihm zur Polizeiwache zu kommen. Wir folgten. In seinem Büro postierte er sich hinter seinem Schreibtisch und deutete mit ernster Miene auf meine Frau:
"Sie müssen Ihre Haare abschneiden!"
Zunächst haben wir gelacht, denn das Gesetz besagt, daß es Männern verboten ist, lange Haare zu tragen. Doch er blieb ernst, und ich begann, um die Haare meiner Frau zu bangen.
Da holte der Polizist seine Kollegen herbei, und alle fingen an, sich über meine Sorge zu amüsieren. Erst in diesem Moment begriff ich den Scherz: Das war die Lektion für Nellys Shorts.