Um die Welt in 40 Monate (2).
»Wir wollten nicht etwas, sondern alles sehen von der Welt«
Darum fuhren wir mit dem Fahrrad. Hätten wir ein Auto benutzt, dann wären die Fensterscheiben Trennwände gewesen.
In Bangladesch folgte uns einmal eine große Menge neugieriger Menschen in ein Teehaus. Sie umringten uns so dicht, daß der Wirt nicht mehr bedienen konnte. Er löste die Aufgabe auf seine Art: Von Hand zu Hand wanderte ein Zettel zu seinen Gästen aus Europa, auf den er geschrieben hatte: »Dear guests, do you want something more?«
D
urch die Welt radeln heißt, sich täglich den Menschen stellen. Wir baten sie um Wasser, wir baten sie um einen Platz für unser Zelt, sie haben uns oft den Weg gewiesen - wenngleich manchmal den falschen. Entfliehen konnten wir den Menschen nicht, aber das wollten wir auch nicht. Wir sind mit dem Fahrrad um die Welt gefahren, nicht um sie hinter uns zu bringen, sondern um in ihr zu sein. Wir wollten nicht etwas, wir wollten alles sehen.
Thailand: Frühstück, direkt vom Fahrrad an den Tresen des Teehauses.
Panama: die San Blas gehen kaum, sie paddeln von Insel zu Insel im Boot, daher ihre kräftigen Oberkörper
Nelly's Idee war das Ganze. Wir waren auf demselben Schiff drei Monate nach einander, nach Australien gefahren und hatten uns in Sydney kennengelernt. Wir überlegten, wie wir nach den Niederlanden zurückkehren sollten.
Nelly erzählte mir von ihren Touren, die sie in Europa mit dem Fahrrad unternommen hatte, und sie schwärmte von ihrem Mädchentraum, mit dem Rad die Welt kennenzulernen. Und so beschlossen wir, das Abenteuer zu wagen.
Wir baten Nelly's Neffen, einen Fahrradhersteller zu Hause in den Niederlanden, uns zwei Sporträder auszurüsten und nach Singapur zu schicken. In Singapur, auf dem Festland, wollten wir starten.
Wir flogen vom australischen Darwin nach Timor, wir durchquerten Indonesien per Schiff, Bus, Zug und Flugzeug und landeten schließlich in der ehemaligen britischen Kronkolonie.
Die Fahrräder, teils in Einzelteile zerlegt und gut verpackt, waren unversehrt angekommen. Wir brauchten nur einige Teile zu montieren.
Bolivien: zwei kleine Indianer fanden uns sehr ungewohn aber doch interessant.
Mexiko: In der Hitze des Frühsommers gab es kaum Schatten.
Zehn Monate später, nach unserer Ankunft in die Niederlande, fuhren we auf dem Rad zur Kirche und heirateten. Zweieinhalb Jahre lang arbeiteten wir - meine Frau als Chemotechnikerin, ich als Elektroingenieur -, dann hatten wir genug Geld für den zweiten Teil der Reise gespart und fuhren wieder los. Diesmal für zweieinhalb Jahre.
Eine Tour für Muskelprotze? Nelly, mit 32 ein halbes Jahr jünger als ich, ist nur 1,59 Meter groß und ganz gewiß nicht "kräftig". Aber sie hat 40 Monate und 68.280 Kilometer auf ihrem Fahrrad ausgehalten, keine Stunde, keinen Meter weniger als ich. Gewiß, ich vergesse jenen Tag nicht, als wir den Sockel des Hochlandes von Äthiopien erreicht hatten und 2000 Meter Höhenunterschied vor uns lagen. Wir hatten nichts mehr zu essen und mußten weiter.
Indien: Eine Sänfte, wenn man das Geld hat, geht man nicht auf eigenen Kraft durch die Welt.
Die Karten, die wir von diesem Gebiet besaßen, waren unzureichend, unsere Zehn-Gang-Schaltungen nutzlos geworden. Wir schoben unsere Räder über ausgetrocknete, dornige Pfade, wir quälten uns über herumliegende Äste und durch verschlammte Flußbetten. Hier durchlebten wir einen der wenigen Augenblicke, in denen Nelly glaubte, am Ende ihrer Kraft zu sein. In der Nacht hat sie von Essen geträumt.
Doch nach Hause wollte sie auch da nicht. Eine Reise mit dem Fahrrad um die Welt muß nicht scheitern, weil sie zu hohe körperliche Anforderungen stellt. Auch nicht, weil Gefahr von Tieren oder Mensehen droht -sie ist nach unseren Erfahrungen gering. Es ist vielmehr die geistige Anstrengung, die eine Weltreise mit dem Fahrrad zur Strapaze macht.
Wir mußten täglich neu auf Menschen eingehen, deren Sprache meist fremd, deren Verhalten uns rätselhaft, deren Freundschaft oft überwältigend und manchmal unbequem war. Zweimal, von Singapur bis New Delhi und von den Niederlanden bis zum Sudan, fuhren wir zu dritt: Beide Male gaben unsere Begleiter auf: Sie konnten es nicht ertragen, täglich "Bruderküsse" tauschen zu müssen.
I n Kolumbien kamen wir in ein Dorf, wo Nachfahren der Negersklaven wohnen. Wir hatten unser Zelt aufgeschlagen, und Nelly war dabei, Pfannkuchen zu bereiten, als - wie immer - die Kinder des Dorfes herbeirannten, um uns zuzusehen. Einer der Pfannkuchen fiel auf die Erde. Da lachten die Kinder aus vollem Herzen, und eines nach dem anderen lief nach Hause, um uns das zu zeigen, was sie aßen. Wir fragten sie dann, was dieses sei oder wie jenes heiße, und wenn die Kinder es nicht wußten, rannten sie wieder zu ihren Eltern und kamen mit der Antwort zurück. Welcher Reisende macht heute noch solche Bekanntschaften am eigenen Lagerfeuer?
Mexiko:
Auch für die wenigeren Begüterten sieht der Friedhof aus wie eine Totenstadt.